Auch im Wandel der Produktion und der produktionsnahen Dienstleistungen steht der Mensch im Zentrum, nicht die Maschine, nicht das vernetzte System. „Industrie 4.0“ führt nicht zur menschenleeren Fabrik. „Industrie 4.0“ benötigt, um effektiv und effizient ablaufen zu können, gut qualifizierte und kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich die Zusammensetzung der Belegschaften verändern wird. Fachexperten sprechen von einer „Veredelung“ und Verkleinerung der Stammbelegschaften sowie von einer Zunahme von ausgelagerten Arbeitsaufträgen an Freie, Freelancer und Crowdworker. „Industrie 4.0“ hat eine rationalisierende, arbeitsplatzabbauende Seite und zugleich das Potenzial für die Schaffung neuer Arbeitsinhalte und Beschäftigung. Betriebsrat und Gewerkschaft kommt die Verantwortung zu, diesen Umbauprozess human zu gestalten. Dabei wird von großer Bedeutung sein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Chance des Zugangs zu Weiterqualifizierungen und Weiterbildungen erhalten.
4 thoughts on “<span>These 4 Der Mensch im Zentrum</span>”
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Manfred Buerger says:
Ob der „Mensch im Zentrum“ steht und ob Industrie 4.0 nicht doch teilweise zur „menschenleeren Fabrik“ führt, ist eine Frage der Auseinandersetzung um die Gestaltung des Arbeitsprozesses (menschenleere Produktionsbereiche gibt es ja bereits). Das angeführte Potenzial für die Schaffung neuer Arbeitsinhalte und Beschäftigung ist konkret zu bestimmen, ebenso die Bedingungen und Wege zur Durchsetzung. Ohne Auseinandersetzungen darüber werden sich weder Erhaltung noch Schaffung von Arbeitsplätzen in notwendigem Umfang einstellen. Ein Eingreifen nur zur humanen Gestaltung des Umbauprozesses sowie zur Schaffung der „Chance des Zugangs zu Weiterqualifizierungen und Weiterbildungen“ ist nicht ausreichend.
Auch Constanze Kurz (Industrie 4.0, Betriebspolitisches Forum 2013) sieht sowohl Chancen als auch Risiken wie „Beschäftigungsabbau und Zunahme von Leiharbeit“: „ Die Chancen werden sich aber nicht im Selbstlauf realisieren, entscheidend wird die Einmischung von IG Metall und Betriebsräten sein“. „Aktive Beteiligung … an betrieblichen Umsetzungsprojekten“ ist angesagt. Ebenso stellt Hartmut Schulz, IGM (ebd) die Frage, „welche und wie viele Menschen dann noch [bei prognostizierten Steigerungen der Produktivität von 30 bis 35% oder mehr] … einen sicheren Arbeitsplatz finden“ und welchen.
Wir sehen Chancen in der Auseinandersetzung um eine kooperative Gestaltung des Arbeitsprozesses, welche eigentlich der technischen Veränderung und dem damit Intendierten einer systemischen Beherrschung der Prozesse und einer qualitativ hochstehender Produktion entspricht (also eigentlich: Gute Arbeit, sinnvolle, gute Gestaltung statt blinder Dynamik, „besser statt billiger“). Hier ist konkret anzusetzen (s. unsere Kommentare zu obigen Thesen).
Wird ein Fachexperten-Urteil über eine „Veredelung“ und Verkleinerung der Stamm-belegschaften einfach akzeptiert, so kann sich die Gewerkschaft aus der Auseinandersetzung um den betrieblichen Arbeitsprozess verabschieden. Sowohl die Zahl der Beschäftigten als auch die Arbeitsgestaltung („Veredelung“) wären dann einfach Resultat der technischen Veränderung. Die Aufgaben der Gewerkschaft müssten sich dann hauptsächlich auf Regelungen für Ausgelagerte und Beschäftigungslose beschränken. Dagegen ist es aus unserer Sicht notwendig, eine Auseinandersetzung um Gestaltung und Erhalt von Arbeitsplätzen im Betrieb sowie überbetrieblich im Sinne kooperativer Arbeit mit einem überbetrieblichen Kampf um Verringerung der Arbeitszeit zu verbinden (s.a. nächste These).
Kommentar von MB und HB, s. unter These 1
Welf Schroeter says:
Lieber Kollege,
Du schreibst, dass es “eine Frage der Auseinandersetzung um die Gestaltung des Arbeitsprozesses” sei, ob “Industrie 4.0” zur menschenleeren Fabrik führe. Dieser Analyse würde ich so nicht zustimmen. Kluge Arbeitgeber haben längst erkannt, dass eine erfolgreiche Umsetzung von “Industrie 4.0” gerade eine motivierte und qualifizierte Belegschaft benötigt. Die Komplexität der neuen Organisationsmodelle von Arbeitsprozessen ist ohne aktive Menschen weder handhabbar noch steuerbar. Die Kontroverse geht m. E. nicht um die Frage menschenleer oder nicht menschenleer, sondern um die Gefahr einer sozialen Spaltung innerhalb der Belegschaften und der Gefahr der Ausgrenzung von nicht ausreichend qualifizierten Kolleginnen und Kollegen.
Manfred Buerger says:
Unser Kommentar (MB + HB) dazu:
Wenn allein die Klugheit der Arbeitgeber die Schaffung von Bedingungen für sinnvolle, kooperative Arbeit, Qualifikation und Motivation dazu, d.h. auch Mitgestaltung, garantieren würde, so hätten die Gewerkschaften im betrieblichen Kontext, wozu wir auch darauf bezogene ausgelagerte Arbeit zählen, keine Aufgabe mehr. Dabei werden aber widersprechende Interessen und Zwänge nicht berücksichtigt.
Es geht auch nicht um die Frage, ob es absolut menschenleere Fabriken geben wird (wir hatten vorsichtig von „teilweise“ gesprochen). Es geht um das Problem massiver Reduktion menschlicher Arbeit als Folge des Automations-schubs bei Industrie4.0. Dem kann durch eine kooperative Gestaltung entgegengewirkt werden, die auch im Interesse der Effizienz von Arbeitsprozessen und der Gesamtgestaltung liegt, aber durchzusetzen ist.
Die „Gefahr einer sozialen Spaltung innerhalb der Belegschaften und die Gefahr der Ausgrenzung von nicht ausreichend qualifizierten Kolleginnen und Kollegen“ sind ebenfalls mit der Art der Gestaltung verknüpft, nicht einfach Folge von Entwicklungen innerhalb der Belegschaft. Sie hängen von Auseinandersetzungen um die Gestaltung ab und sind nicht zu trennen von dem Problem der Reduktion menschlicher Arbeit, von dem Ersatz einfacher Tätigkeiten durch Maschinerie, von der Ausdünnung menschlicher Arbeit in der Produktion, von unterschiedlichen Perspektiven der Steuerung, durch eine hochqualifizierte Schrumpf-Belegschaft oder alternativ dazu einer Beteiligung einer größeren Belegschaft an qualifizierter, umfassender, kooperativer Gestaltung.
Das ist im Einzelnen zu erarbeiten. Darum muss die Auseinandersetzung im betrieblichen Kontext gehen und darüber hinaus. Ausgrenzungen aus dem Arbeitsprozess (Entlassungen) werden sonst umso massiver auftreten [wir erinnern an die technologische Umwälzung in der Druckindustrie in den 70ern, wo es z.B. im Satz-Bereich darum gegangen wäre, kooperative Arbeitsformen mit umfassend geschulter Belegschaft gegenüber einer Aufspaltung von Tätigkeiten durchzusetzen, bei technologisch ermöglichten Chancen und sogar Notwendigkeiten des Stoß-Betriebs hierzu]. Zusammen mit dem betriebsbezogenen Kampf hierum ist ein genereller Kampf um Verkürzung der Arbeitszeit zu führen. Erst dadurch wird es möglich, massiven Entlassungen entgegenzutreten und gesellschaftliche Gestaltung in Teilhabe aller zu ermöglichen.
Kluge Arbeitgeber sollten in diesem Kampf in ihrem langfristigen Interesse mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten. Kooperative Arbeitsformen mit genug verfügbarer Zeit für Kommunikation, Weiterbildung und Gestaltung sind die Basis für die angestrebte Kreativität und Gestaltungsfähigkeit. Optimierung von Prozessen bedarf der Freiräume zum Überdenken im Austausch darüber. Erfahrungswissen muss mit Theorie verknüpft werden.
Den ideellen Gesamtkapitalisten (“klugen Arbeitgeber”) gibt es in der Realität nicht. Die kurzfristigen und langfristigen Kapitalinteressen entwickeln den Gesamtprozess widersprüchlich – hier agieren Kapitalanleger, Finanzkapital, Anteilseigner, Management. Die Gewerkschaften sind in diesem Auseinandersetzungsprozess gefragt, die langfristigen Reproduktionsinteressen der Arbeiterklasse zu vertreten und damit gegen die kurzfristigen Kapitalinteressen zu kämpfen.
Dieser Kampf setzt aber eine Kenntnis und breites Bewusstsein dieser Reproduktionsinteressen in Bezug auf Qualifikation, Gestaltung des Arbeitsprozesses, Kooperation, Arbeitszeit und Entlohnung voraus, die es zu entwickeln gilt. Wir haben bereits vorgeschlagen, welche Rolle den Betriebsräten, Vertrauensleuten und Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung zukommen sollte und welche zentrale Bedeutung dies haben würde – leider gab es dazu bisher keine Reaktion.
Jens Hansen says:
Wir führen täglich Gespräche mit grossen Unternehmen genau zu diesem Thema. Der Produktionsfaktor Wissen ist das, was die Deutsche bzw. Europäische Wirtschaft ausmacht. Träger dieses Produktionsfaktor ist der Mitarbeiter, denn ca. 70 bis 80% des Wissens einer Firma steckt in den Köpfen und PC´s der Mitarbeiter. Nur 20 bis 30% des Firmenwissens sind explizit, das heisst stehen in Form von Dateien oder Akten zur allgemeinen Verfügung.
Dummerweise ist das Wissen auch nicht hierarchisch verteilt, sondern ganz im Gegenteil: die besten Fachleute finden sich oft in den unteren Rängen der Hierarchie und gehören nicht selten zu der Kategorie “Hidden Champions”. Diese sichtbar zu machen haben wir uns bei Starmind zur Aufgabe gemacht. Dennoch gibt es häufiger Diskussionen mit den involvierten Betriebsräten, ob diese Art der Transparenz wünschenswert sei und ob nicht eher Mitarbeiter vor Transparenz (ihres) Wissens geschützt werden müssten. Für mich eine nicht mehr zeitgemässe Diskussion.