Als vor nahezu 35 Jahren an vielen Universitäten das Fach Informatik eingerichtet wurde, gab es aus heutiger Sicht geradezu merkwürdige Diskussionen. Der Weg der Fakultätsgründungen spülte nicht selten einen besonderen Typ des männlichen Forscherdrangs auf die Lehrstühle. Dieser Typus verbat sich die Einmischung von Seiten der Sozialwissenschaften und wehrte sich gegen Anfragen aus der Zivilgesellschaft. Diese Einmischungen würden zum einen die Freiheit der Wissenschaft beeinträchtigen. Zum anderen seien sie in sich unlogisch, da die Informatik nur Grundlagenforschung betreibe und keinen direkten Anwendungsbezug zur Gesellschaft habe. Mit dieser Abwehrhaltung wollte sich die (damalige) konstruktive Kritik an der (damaligen) Informatik nicht zufrieden geben. Nach kurzer Zeit entfalteten sich an mehreren Hochschulen Forschungszusammenhänge und Institute unter dem Namen „Informatik und Gesellschaft“.
Auch der heutige Verlauf des Diskurses um die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ bringt vergleichbare Momente von Licht und Schatten hervor. Es ist ermutigend festzustellen, dass in den Forschungen und Entwicklungen modernster Softwaresysteme zumeist offene Gesprächsverhältnisse vorherrschen und eine große Bereitschaft vorzufinden ist, mit zivilgesellschaftlichen Gruppen in den Dialog zu treten. Dennoch scheinen auch bestimmte Haltungen des Sich-Abgrenzens und des Denkens-in-Elfenbeintürmen zurückzukehren. Wenden wir uns jüngsten Beispielen zu:
Immer mehr schiebt sich in der aktuellen Debatte über die Gestaltung algorithmischer Entscheidungssysteme die Frage in den Vordergrund, ob es besondere Zulassungskriterien für die Nutzung und Anwendungen solcher Algorithmen und deren algorithmischer Entscheidungszusammenhänge geben sollte. Aus dem Forum Soziale Technikgestaltung heraus kommt der Vorschlag nach einem „mitbestimmten Algorithmus“. Dazu haben die Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen dreißig Kriterien für Zulassungen ergeben. Beim Versuch, diese Kriterien, diese Vorschläge aus dem Kreis der Zivilgesellschaft der „KI“-Forschungsgemeinde vorzustellen, kam uns das Argument entgegen, dass die Forschung dieser „KI“-Gemeinde lediglich Grundlagenforschung betreibe und diese Forschung keinen direkten gesellschaftlichen Anwendungsbezug ausweise. Das Forum solle lieber mit der Anwendungsforschung reden.
Über eine solche Aussage kann man nur den Kopf schütteln. Davon abgesehen, dass der Übergang zwischen Grundlagenforschung und Anwendung im Feld moderner Softwareforschung geradezu fließend ist, und dass gesellschaftliche Anforderungen zum frühest möglichen Zeitpunkt in der Arbeit der Forschung Berücksichtigung finden sollten, schadet eine solche Argumentation vor allem dem Anliegen der „KI“-Community selbst. Sie unterminiert die eigene Glaubwürdigkeit. Wer die letzten rund vierzig Jahre Forschung in der Technikfolgenabschätzung und in der Technikfolgenforschung betrachtet, stellt zudem unumwunden fest, dass der Abgrenzungsschritt („Grundlagenforschung“) auch einer modernen Methodendiskussion nicht standhält.
Mit einem weiteren Kopfschütteln muss man einen anderen Vorgang betrachten. Da hat sich ein kompetenter Kopf der verdienstvollen Aufgabe zugewandt, die nationale und internationale Diskussion zu durchforsten, um zu prüfen, welche Anforderungen akademische Autorinnen und Autoren an die Entwicklung neuer sogenannter „KI-Anwendungen“ formulieren. Erfreulich war im Ergebnis, dass die Anforderung nach Schutz der Privatheit den Spitzenplatz einnahm. Es folgten weitere – auch aus gewerkschaftlicher Sicht – gute Kriterien. Auf die Frage aber, warum nicht auch die vielfältigen Anforderungen aus der Zivilgesellschaft in diese wertende Übersicht aufgenommen wurden, kam die geradezu frappierende Antwort, dass er mit seinem Aufsatz im Wettbewerb mit internationalen Wissenschaftlern stehe und da passe der zivilgesellschaftliche Ansatz nicht hinein.
Zugegeben, die beschriebenen Beispiele zum Kopfschütteln sind Einzelfälle. Viele Akteure aus der Forschung würden über besagtes Verhalten selbst den Kopf schütteln. Dennoch ist es für die zivilgesellschaftliche Seite das Gegenteil von Ermutigung.