Um die Möglichkeiten von HomeOffice-Lösungen besser verstehen zu können, ist es hilfreich zurückzublicken in jene Zeit, in der zum ersten Mal damit experimentiert wurde. Zum Bündel der Entstehungsgeschichten gehört vor allem der starke Impuls der sehr engagierten, selbstbewussten und technisch hoch kompetenten Frauen in den IT-Unternehmen IBM und Hewlett Packard HP. Sie starteten mit dem Wunsch nach mehr Selbstbestimmung, Autonomie und Selbstorganisation in der Arbeit. Sie wollten bessere Möglichkeiten für ihre beruflichen Laufbahnen, sie wollten Gleichberechtigung mit den Männern in der Unternehmenskultur. Sie wollten produktiver, effektiver sein, wollten sich selbst und den Männern zeigen, dass „sie was drauf hatten.“
Es ging ihnen ziemlich auf die Nerven, dass immer dann, wenn sie sich in der Arbeit auf eine Aufgabe konzentrieren wollten, ein Männerkopf um die Ecke kam mit der auffordernden Frage: „Könnten Sie mir mal kurz folgende Dinge vorbereiten?“ Diese ständigen Unterbrechungen empfanden sie als Hindernisse für ihre persönliche Karriere. Deshalb setzten sie sich zusammen und suchten zunächst Räume im Unternehmen, wohin sie sich auf Zeit zurückziehen konnten. Doch die Großraumbüros der damaligen Zeit (HP in Böblingen!) schafften keine Ruheräume. So prüften die Frauen die Erfahrungen mit den Datenübertragungen der BTX-Technik und alles, was danach kam bis zur Freischaltung des Internets im Jahr 1991. Für sie wurde klar, sie benötigten die neueste Telekommunikationstechnik, um sich auf Zeit zur Lösung von bestimmten Aufgaben, für die sie Ruhe und Konzentration benötigten, zurückziehen zu können. So wurde jener Ort ins Auge gefasst, der heute HomeOffice genannt wird.
Es zeigte sich bald, dass Frauen, die zeitweise im Unternehmen und zeitweise im HomeOffice nach eigener flexibler Zeitsouveränität arbeiteten, deutlich leistungsfähiger und fachlich kompetenter wurden als ihre männlichen Kollegen. Damit nahmen viele Männer diese Frauen im HomeOffice als Karrierekonkurrenz wahr. Der alte Macho-Geist kehrte zurück. Die Männerwelt antwortete mit berüchtigten Bildern, auf denen lächelnd strahlende junge blonde Frauen mit einem Kleinkind auf dem linken Arm und ihrer rechten Hand an der Maustaste gezeigt wurden. Das Bild sollte vermitteln: Telearbeit ist ein Mütterarbeitsplatz. Frauen sollten sich ums das Kind kümmern, zuhause bleiben und den Männern auf deren Karriereweg nicht in die Quere kommen. Plötzlich standen in den betrieblichen Diskussionen nicht mehr die Selbstbestimmung, Autonomie und Selbstorganisation im Zentrum sondern Kinder, Küche, Mütter, Heimarbeit. Dieser ideologische Schwenk nach rückwärts war teilweise erfolgreich. Viele Frauen gaben nach oder auf. Bald war die Zahl der männlichen „Teleworker“ größer als die Zahl der weiblichen „Heimarbeiterinnen“.
Aus diesem Bruch hat sich die Debatte um „Alternierende Telearbeit“ und „HomeOffice“ bis heute nicht wirklich erholt. Um den hohen starken sowie in der Sache ganz zentralen Impuls der Selbstbestimmung in der Arbeit zurückzudrängen, erfanden etwas taktisch gewieftere Männer zusätzlich die Parole von der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Telearbeit, womit letztlich wieder die kinderbetreuende Frau gemeint war. Nur wenige Männer nahmen die Vereinbarkeit für sich Ernst. Erst später konnte unter dem Dach des Begriffes „Vereinbarkeit“ auch wieder der Gleichberechtigungsanspruch Eingang in die HomeOffice-Debatte finden.
In den neunziger Jahren hatte sich das „Netzwerk Telearbeit und Frauen“ in Baden-Württemberg gegründet, um engagierten Frauen den Rücken zu stärken. Auf der sechsten Jahrestagung dieses Netzwerkes im Jahr 2002 forderte eine ihrer Sprecherinnen, Irene Scherer in ihrem Vortrag „Frauen in virtuellen Arbeitswelten“ das Aufbrechen der „strukturellen Diskriminierung von Frauen“.
Immer wieder wird das HomeOffice zum Mütterarbeitsplatz umgemünzt. So schreibt das Nürnberger IAB am 11. Sept. 2020: „Für manche Beschäftigte ist Homeoffice derzeit die einzige Option, um Kinderbetreuung und berufliche Anforderungen miteinander zu vereinbaren. Bereits vor der Covid-19-Krise haben gerade Frauen – und hier vor allem berufstätige Mütter – über ihre positiven Erfahrungen mit einem ausgewogenen Mix aus Homeoffice und Präsenztätigkeit berichtet.“
Doch der Tagtraum und die Erbschaft der damaligen Frauen mit dem Wunsch nach mehr Selbstbestimmung, Autonomie, Selbstorganisation und persönlicher Zufriedenheit in der Arbeit könnten in der aktuellen HomeOffice-Renaissance zurückkommen. Daran sollten wir nachdrücklich arbeiten.
Lesetipp aus früherer Zeit: Irene Scherer, Karin Wunderlich: Die Zähmung des Zauberlehrlings oder das Problem der Delegation. Mobiles Arbeiten und unterschiedliche Anwenderkulturen. In: Alcatel SEL Stiftung für Kommunikationsforschung, Forum Soziale Technikgestaltung (Hg.): Mobile Arbeitswelten. Soziale Gestaltung von „Electronic Mobility“. 2002, S. 187–200. ISBN 3-89376-087-3.